Ich möchte ja niemanden
deprimieren, aber Tatsache ist, dass wir seit mindestens hundert Jahren gegen
Männerverachtung und Frauenbevorzugung kämpfen, ohne einen Schritt
voranzukommen.
Diejenigen, die mich kennen,
wissen, dass ich unter anderem eine Krimiserie schreibe, mit der ich die
Geschichte der Weimarer Republik erzähle. Hierfür betreibe ich seit über
fünfzehn Jahren ausgedehnte Recherchen, bei denen ich gelegentlich auch auf
Zeitungsartikel aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stoße, die
sich zu Geschlechterthemen äußern und zu Vergleichen mit der heutigen Situation
herausfordern (Bilder zum Vergrößern bitte anklicken).
Bund für Männerrechte
In der Berliner Morgenpost vom 14.4.1926 (Seite 2) können wir einen
Artikel über die erste Vollversammlung eines „Bunds für Männerrechte“ lesen,
der die Bevorzugung der Frauen durch Behörden und Gerichte beklagt. Der Autor
des Artikels, ein gewisser Karl Lahm, ein typischer Vertreter der Weißen
Ritterschaft, findet allein schon den Gedanken absurd, dass Männer das Recht
haben sollen, sich gegen Benachteiligungen zur Wehr zu setzen. Folglich erklärt
er die Mitglieder des Bundes in jenem süffisanten Tonfall, der offenbar
dazugehört, wenn man über Männerrechtler spricht, kurzerhand zu Reaktionären.
Als wäre er ein Vorfahre von Andreas Kemper.
Darüber hinaus erfahren wir in
besagtem Artikel nicht nur, dass Falschbeschuldigung schon damals ein Thema
war, sondern auch, dass zu jener Zeit eine Blutprobe als Vaterschaftstest
abgelehnt wurde, weil das Verfahren nicht genug erprobt sei. Sobald es jedoch
einen sicheren Test gebe, werde ein Hauptargument der Männerrechtler
fortfallen, argumentiert Herr Lahm. Es fehlte ihm wohl die Fantasie, sich eine
Brigitte Zypries vorzustellen.
Internationaler Männerrechtskongress
Im Berliner Tageblatt vom 25.9.1929 (Morgenausgabe, Seite 9) mokiert
sich eine Delia Arndt-Steinitz über den ersten internationalen Kongress des
Weltbundes für Männerrechte (Ob es sich dabei um denselben Bund wie oben
handelt, entzieht sich meiner Kenntnis). In typisch feministischer Weise macht
sie die Anliegen der Männer lächerlich, indem sie darauf besteht, diese würden
sich vom Gesetz lediglich benachteiligt „fühlen“ und es ginge ihnen bei der
Reform des Ehe- und Familienrechts um die „Sicherung der männlichen Belange“.
Die These des Bundes, die Frauenbewegung begünstige Frauen, die in einer Ehe nur
eine Spekulation sähen, kann Frau Arndt-Steinitz nicht nachvollziehen. Und
geradezu fassungslos macht es sie, dass auch Frauen die Vereinigung
unterstützen.
So interessant wie die
Gemeinsamkeiten mit heutigen Gegebenheiten sind allerdings auch die Unterschiede.
Denn Frau Arndt-Steinitz befindet immerhin, dass die „Alimentation der
geschiedenen Frau und der Kinder reformbedürftig“ sei und eine geschiedene Frau
für ihren Unterhalt selbst sorgen und für das Kind zumindest mitsorgen solle
statt sich auf einer lebenslangen Rente durch ihren Ex-Mann auszuruhen.
Weltfrauenkongress
Die Berliner Morgenpost vom 18.6.1929 (Seite 6) berichtet über den
elften Kongress des „Weltbundes für Frauenstimmrecht und staatsbürgerliche
Frauenarbeit“, an dem Frauen aus fünfundvierzig Nationen teilnahmen, die von
der Politik umschmeichelt und im Rathaus empfangen wurden. Innenminister
Severing bekannte sich dabei in einer Ansprache dazu, ein „Vorkämpfer der
Frauenrechte“ zu sein, und verbreitete den Mythos von Frauen als dem
friedfertigen Geschlecht, indem er allen Ernstes behauptete, Frauen hätten als
Einzige den Mut gehabt, gegen den Krieg zu protestieren.
Na klar. Was zählen da schon die
paar Männer, die in den pazifistischen Vereinigungen organisiert waren wie etwa
in der Deutschen Friedensgesellschaft, dem Friedensbund der Kriegsteilnehmer,
dem Friedensbund Deutscher Katholiken, der Vereinigung der Freunde von Religion
und Völkerfrieden, dem Deutschen Versöhnungsbund, der Gruppe revolutionärer
Pazifisten oder der Deutschen Liga für Menschenrechte, deren Mitglieder beim
Kampf gegen die heimliche Wiederaufrüstung und die Schwarze Reichswehr immer
wieder von der Justiz drangsaliert und verfolgt wurden und sich teilweise
gezwungen sahen, ins Exil zu gehen?
Während die Pazifistin Anita
Augspurg in Kurt Eisners Bayerischer Republik Mitglied des provisorischen
Parlaments wurde oder ihre Schwester im Geiste, Bertha von Suttner, zahlreiche
Ehrungen erhielt, mit ihren Vorträgen durch die USA reiste, von US-Präsident
Roosevelt empfangen wurde und 1905 den Friedensnobelpreis bekam,
– wurde Ludwig Quidde wegen
seines pazifistischen Engagements aus Berlin ausgewiesen und später wegen
Landesverrats verhaftet;
– musste der Mediziner Georg
Friedrich Nicolai wegen seiner Schriften gegen den Krieg immer wieder die
Störung seiner Vorlesungen durch nationalistische Studenten erdulden und
schließlich erleben, dass ihm die Venia Legendi aberkannt wurde, sodass er am
Ende Deutschland verließ;
– wurde Karl Liebknecht 1907 für
seine Schrift Militarismus und
Antimilitarismus wegen Hochverrats zu eineinhalb Jahren Festungshaft und
für seine Ansprache auf einer Friedensdemonstration 1916 zu vier Jahren und
einem Monat Zuchthaus verurteilt, während ein Reichsanwalt den (vergeblichen)
Versuch unternahm, ihn aus der Anwaltschaft auszuschließen und damit die
Grundlage seiner beruflichen Existenz zu zerstören;
– wurde der Industrielle Arnold
Rechberg, der für die deutsch-französische Verständigung eintrat, auf
Veranlassung der Obersten Heeresleitung ins Irrenhaus gesteckt;
– wurde Ernst Friedrich, der mit
seinem Buch Krieg dem Kriege und den
darin enthaltenen Fotos von verstümmelten Soldaten die ganze Barbarei des
Krieges sinnfällig gemacht hatte, für irre erklärt, ins Gefängnis geworfen und
später von den Nazis ins KZ gebracht;
– kam Kapitänleutnant Hans
Paasche wegen seiner pazifistischen Einstellung nach einem Hochverratsprozess
ins Nervensanatorium und wurde 1920 von einem Reichswehrkommando „auf der
Flucht erschossen“;
– wurden Männer, die wie etwa die
Bibelforscher Otto Anders und Gustav Kujath den Kriegsdienst verweigerten, in
Psychiatrien eingeliefert, weil jemand, der aus Gewissensgründen den Dienst mit
der Waffe ablehnt, in den Augen der Verantwortlichen im Kaiserreich psychisch
gestört sein musste.
Während all diese Männer also
ihren Mut teuer bezahlten, ließen sich Frauen von ignoranten Weißen Rittern für
ihre mit wenigen Risiken verbundenen Friedensaktivitäten beklatschen.
Belford Bax
1913 schrieb Belford Bax,
Journalist, Philosoph des britischen Marxismus und überzeugter Antifeminist,
ein Mann, der die männerfeindlichen Kreuzzüge seiner Zeit beobachtete und als
Rechtsanwalt Erfahrungen darüber sammeln konnte, auf welch vielfältige Weise
Recht und Gesetz zugunsten von Frauen und zum Nachteil von Männern arbeiten,
das Buch The Fraud of Feminism („Der
Betrug des Feminismus’). Darin können wir nachlesen, dass schon damals all jene
Einstellungen die Gesellschaft beherrschten, die auch heute noch eine wirkliche
Gleichberechtigung verhindern: das Ideal der „unschuldigen Frauen“ und der
Weißen Ritter, die ihnen zu Hilfe eilen, Petitionen gegen die angemessene
Bestrafung von Verbrecherinnen, die Legende vom frauenunterdrückenden
Patriarchat und die Behauptung, jeder, der es wage, den Feminismus zu
kritisieren, müsse ein Frauenfeind sein.
Nichts hat sich geändert. Auch
heute noch huldigen die Weißen Ritter vom Schlage Andreas Kempers, Thomas
Gesterkamps und Hinrich Rosenbrocks, die Martin Rosowskis, Heiko Maas’ und
Ulrich Wickerts dieser Welt, ganz zu schweigen von den Alice Schwarzers,
Manuela Schwesigs und Anne Wizoreks, dem Zeitgeist und dem Geschlechterbild von
vor hundert Jahren. Eine Veränderung scheint nicht in Sicht.
Liebe Weiße Ritter da draußen,
die ihr das Zeitalter der Minnesänger nicht verlassen möchtet – wäre es nicht
langsam an der Zeit aufzuwachen? Im 21. Jahrhundert anzukommen? Und zu
erkennen: Wer mir das Recht abspricht, für die Unteilbarkeit von
Menschenrechten einzutreten, wer mit Häme, Unterstellungen und übler Nachrede zu
verhindern sucht, dass ich kritisiere, was ich für kritikwürdig halte, der will
alles Mögliche, aber gewiss keine Gleichberechtigung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Liebknecht
Wolfgang
Benz: Pazifismus in Deutschland
Christian
Th. Müller und Dierk Walter: Ich dien’ nicht
https://en.wikipedia.org/wiki/Ernest_Belfort_Bax
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernest_Belfort_Bax
Zum 2. Teil des „hundertjährigen Geschlechterkriegs“
Zum 3. Teil des „hundertjährigen Geschlechterkriegs“
Zum 4. Teil
Sehr interessant.
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