Im Aquarium

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Mittwoch, 1. Juni 2016

Gläubige unter sich

Gestern habe ich mir die Veranstaltung Gegner*innenaufklärung – Informationen und Analysen zu Anti-Feminismus der Heinrich-Böll-Stiftung angetan.

Es waren rund hundertsiebzig Menschen gekommen, etwa neunzig Prozent Frauen. Auch, wenn es sich dabei überwiegend um Mitglieder der feministischen Seilschaften gehandelt hat – Genderprofessorinnen, universitäre Gleichstellungsbeauftragte, die Autorin eines Gendermanifests, Mitarbeiterinnen von Dissens, die frauenpolitische Sprecherin einer Landtagsfraktion der Grünen, ein Mann mit Abschluss in Gender Studies –, fand ich es doch bedrückend, dass sich so viele junge Menschen ideologisch vereinnahmen lassen.

Um es vorweg zu nehmen: Die Veranstaltung war von erschreckender Banalität und Unbedarftheit. Argumente hatte ich ohnehin keine erwartet, aber doch wenigstens mehr als Plattitüden. Im Grunde ging es den ganzen Tag nur um die Frage: Wie schaffen wir es, unsere Kritiker zum Schweigen zu bringen?

Wie immer wurden dabei alle in einen Topf geworfen, die sich negativ gegenüber dem Feminismus äußern und damit die fortschrittlichen Kräfte, als die die Redner sich sahen, bedrohen: Beatrix von Storch und Birgit Kelle, AfD und „selbsternannte“ Lebensschützer, der Väteraufbruch für Kinder und MANNdat, Akif Pirincci und „Werner“ (sic!) Kutschera.

Die Grußworte, die Henning von Bargen vom Gunda-Werner-Institut sprach, würde ich unter der Überschrift „Einstimmen aufs Feindbild“ zusammenfassen. Dieser Feind ist in seinen Augen konservativ – rechts – anti-aufklärerisch. Und bürgerliche Kräfte würden sich zunehmend autoritären Strukturen gegenüber offen zeigen.


Sebastian Scheele

Sebastian Scheele hielt dann einen Vortrag zum Thema Von Anti-Feminismus zu „Anti-Genderismus“? Kernthese: Der Antifeminismus früherer Jahrzehnte sei männerzentriert und auf kleine Gruppen begrenzt gewesen, der jetzige hingegen familienzentriert und damit von größerer Breitenwirkung.

Scheele liebt offenbar den inflationären Gebrauch von Adjektiven, rhetorische Floskeln („bürgerlich heteronormative Kleinfamilie“) und andere Worthülsen. Insbesondere „kritisch-analytisch“ fiel praktisch in jedem zweiten Satz und erinnerte mich an das früher in ähnlicher Weise als Leerformel benutzte „Marxismus-Leninismus“ in der DDR.

Um zu begründen, dass Männer kein Recht hätten, sich als Opfer zu fühlen, behauptete er allen Ernstes, dass es ja in den letzten Jahren eine Aufwertung von Väterlichkeit gegeben und eine Stärkung der Position von Vätern stattgefunden habe, dass eine Männerpolitik etabliert worden sei – hier nannte er, kein Witz, das Bundesforum Männer –, dass Gender Mainstreaming, obwohl 1999 als verpflichtende Aufgabe verankert, zurückgeschraubt worden und auf Bundesebene entschlafen sei und neben Irland und der Slowakei nur Deutschland keine entsprechenden Strukturen aufgebaut hätte und dergleichen mehr. Und man hätte es verabsäumt, den Gegnern von Gender Mainstreaming etwas entgegenzusetzen, und durch dieses Schweigen einem stärker werdenden Gegenwind Raum gegeben.


Gisela Notz

Gisela Notz hielt anschließend einen monotonen Vortrag unter dem Titel Brauchen wir einen neuen Familismus? mit ebenso nichtssagendem Wortgeklingel wie ihr Vorgänger („Einfluss konservativer Kreise“). Auch die zusammenhanglos an die Wand projizierten historischen Familienbilder konnten die einschläfernde Wirkung ihres Vortrags nicht mildern.

Unter anderem beschrieb sie Familismus als Komplize des Patriarchats und Keimzelle des Kapitalismus und die Kleinfamilie besonders für das Unternehmertum interessant, als arbeite nicht gerade der Feminismus dem kapitalistischen System in die Hände, indem er nach dem Motto „Teile und herrsche“ von den eigentlichen Ursachen sozialer Missstände ablenkt und die Familie zerstört, um Kinder frühzeitig zu indoktrinieren und Mann und Frau zur verfügbaren Arbeitsmasse zu machen.

Nein, sagte Frau Notz gegen Ende der anschließenden Diskussion, sie verurteile niemanden, der in einer Kleinfamilie lebe, möchte diese aber auch nicht bevorzugt wissen. Wie kann eine Frau mit einer solchen Einstellung ehemals Versitzende des Bundesverbands von Pro Familia gewesen sein?

Mühsam dem Wachkoma entronnen musste ich mich für eines von vier parallel laufenden „Panels“ entscheiden. Mein Wahl fiel auf Angriffe auf die Geschlechterforschung – Von wem und warum? Rednerin: Ilse Lenz.


Ilse Lenz

Diese bemühte sich, den Eindruck zu vermitteln, sie sei zu einer differenzierten Sicht auf ihre Kritiker fähig. So wollte sie beispielsweise Geschlechterkonservative, mit denen man reden könne und die durchaus wertschätzend über Frauen dächten und oft für fortschrittliche Positionen offen wären, von den bösen Antifeministen getrennt wissen. Und, ja, selbstverständlich sei Kritik am Gender Mainstreaming erlaubt (mehr dazu später).

Mit ironischem Unterton benannte sie dann Aussagen von Kritikern, ohne dem eine Entgegnung hinzuzufügen, als sei die Kritik mit der bloßen Benennung bereits zurückgewiesen. Gender Mainstreaming sei von oben eingesetzt – haha! Gleichberechtigung müsse wieder Chancengleichheit bedeuten – wie absurd! Gender Mainstreaming sei eine Ideologie, man stelle sich das vor, eine Ideologie! Der Ideologievorwurf fehle nie, und das sei doch ein Widerspruch in sich, dass eine Wissenschaft, die angetreten sei, um Dinge zu hinterfragen, als Ideologie bezeichnet werde.

Gender Mainstreaming genüge keinen wissenschaftlichen Kriterien, sagen die Kritiker – man würde doch erwarten, dass dieser Vorwurf mit Beweisen untermauert werde. Merke: Nicht etwa derjenige, der Steuergelder verbraucht, muss den Sinn seiner Arbeit nachweisen, sondern sein Kritiker den Unsinn. Wer eine solches Weltbild sein eigen nennt, findet vermutlich auch, dass ein der Vergewaltigung beschuldigter Mensch seine Unschuld beweisen muss und nicht etwa das Gericht seine Schuld.

Frau Lenz erklärte Kritik gegen Gender Mainstreaming zum Angriff auf Wissenschaftsfreiheit, und es ginge den Kritikern um die Definitionsmacht. Überhaupt, die seien gegen Gleichstellung als Staatsziel, die hätten wohl nicht wahrgenommen, dass das im Grundgesetz stehe. Nein, Frau Lenz, dort ist von Gleichberechtigung die Rede.

Was die Frage betraf, wie man Kritik begegnen könne, so betonte sie die Wichtigkeit von Bündnissen und Vernetzungen und kam zu dem Schluss, man hätte der Öffentlichkeit die Potenziale und Leistungen des Genderansatzes nicht genug deutlich gemacht. Also die übliche Strategie von Politikern: Wenn das Volk mit einer Sache nicht einverstanden ist, muss nicht etwa die Sache überdacht, sondern nur die PR verstärkt werden.

Weitere Bonmots gefällig?

„Antifeminismus ist ein Angriff auf Frauen.“

Über die Haltung Konservativer zum Bildungsplan: „Kinder sollen nach deren Meinung keine sexualpädagogische Ausbildung erfahren, das wollen die selbst machen.“

„Akif Pirincci ist aus der Geschichte getilgt worden.“

Eine interessante Frage wurde im Anschluss gestellt, nämlich wo Frau Lenz die Grenze zwischen legitimer und nicht legitimer Kritik ziehe. Die Antwort: Wenn der Kritiker den Ansatz des Gender Mainstreaming nachvollziehen und auf dieser Grundlage kritisieren würde, wäre das in Ordnung. Mit anderen Worten: Kritik nur von Gläubigen.

Ach ja, und eine Sozialwissenschaftlerin schwadronierte von der jahrtausendealten Diskriminierung der Frauen, die sich so verfestigt habe, „dass man erst woanders hingehen muss, damit es einem auffällt“. Ehrlich? Sie müssen ins Ausland reisen, um Benachteiligungen zu merken? Davon können Männer nur träumen.


Thomas Gesterkamp

Nach der Mittagspause musste man sich wiederum für einen von vier Workshops entscheiden. Ich ging zu Widersacher brauchen Widerworte – Wie reagieren auf Anti-Feminismus in den Medien?, einen von Thomas Gesterkamp gehaltenen Vortrag, der sich in banalsten Allgemeinplätzen erschöpfte.

Gesterkamp tat so, als hätten es die Genderleute schwer, angemessen in den Medien dargestellt zu werden, und nicht deren Kritiker. Als Journalist verteidigte er natürlich die Medien: Es sei vielleicht Ignoranz, Ironie oder eine Kampagne, wenn negativ über Gender berichtet würde, aber keine Verschwörung. Er empfehle, sich bei etwaigen unangemessenen Artikeln mit positiven Leserkommentaren einzubringen. Die Kommentarspalten würden nämlich von Kritikern geflutet werden (als würden kritische Kommentare nicht ständig gelöscht oder gar nicht erst freigeschaltet), dem müsse man etwas entgegensetzen.

Lügenpresse“ sei übrigens ein rechtspopulistischer Kampfbegriff aus der Weimarer Republik, den die Nazis benutzt hätten. Der Gedanke, der dahinterstecke, habe zwar einen wahren Kern (Berichterstattung zur Agenda 2010 und Ukraine), aber natürlich nicht in Bezug auf das Genderthema.

Faszinierend auch, wie er sich und seine Bewegung als die eigentlichen Opfer darstellte und das Verhalten von Feministen auf deren Kritiker projizierte. Dass er schon Shitstorms und Drohungen erhalten habe. Dass versucht wurde, seinen Wikipedia-Eintrag zu manipulieren, und er daraufhin Leute kontaktiert habe, die regelmäßig bei Wikipedia schrieben, wie Andreas Kemper ...

Den Rest habe ich mir geschenkt. Sechs Stunden Plattitüden, Selbstgerechtigkeit und Ignoranz sind genug.




PS: Auch Wolle Jacobs und MannDat berichten über die Veranstaltung.


8 Kommentare:

  1. Danke!
    Ist das noch Esoterik oder schon Sekte?
    Ich meine, politisch radikal wie RAF, Maoisten, Trotzkisten usw. ist es wohl nicht, weil die Genderbewegung ja einen regelrechten Mystizismus betreiben.

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  2. Du meine Güte, ich verwende normalerweise das firefox-Plug-in binnen-i-be-gone (http://binnenibegone.awardspace.com/, sehr zu empfehlen übrigens), das löscht die ganzen -*?~innen. Da verpaßt man ja ab und zu die schönsten Doppeldeutigkeiten.

    Statt Innenaufklärung sollten die Damen vielleicht mal Außenaufklärung betreiben, also sich selber mal mit etwas Distanz von außen betrachten, dann wären sie bestimmt deutlich aufgeklärter als jetzt.

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  3. Hi Gunnar,

    vielen Dank für dein Durchhaltevermögen! ;)

    Ich finde "feministische Seilschaften" auf der einen Seite richtig, auf der anderen Seite sollte man den Karriere-Aspekt und das "Netzwerk" nicht überbetonen. Ebenso den sektenartigen Charakter.

    Was du schilderst ist m.E. eine halbstaatliche, teilautonome *Gender-Bürokratie*.

    Du schreibst hier: "Also die übliche Strategie von Politikern: Wenn das Volk mit einer Sache nicht einverstanden ist, muss nicht etwa die Sache überdacht, sondern nur die PR verstärkt werden."

    Das ist richtig.
    Aber die Genderisten erfüllen *das* Kriterium eines Politikers nicht: Sie wurden NIE demokratisch gewählt.
    "Gender-Mainstreaming" wurde top-down designt und durchgesetzt, die Bevölkerung wurde nie gefragt.

    Von daher finde ich die von dir hier kritisierte Äußerung von Ilse Lenz:

    "Überhaupt, die seien gegen Gleichstellung als Staatsziel, die hätten wohl nicht wahrgenommen, dass das im Grundgesetz stehe. Nein, Frau Lenz, dort ist von Gleichberechtigung die Rede."

    ausgesprochen vielsagend.
    Denn sie fühlt sich berufen ein Staatsziel zu (re-) definieren, ohne sich überhaupt durch das Grundgesetz legitimieren zu können und zu müssen.

    Da weht ein undemokratischer Korpsgeist, der mich fassungslos macht.

    Gruß, crumar

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  4. Da hast du natürlich völlig recht.

    Was die Seilschaften etc. betrifft, so war das, meiner Beobachtung nach, ein durchgängiges Motiv, sich zum einen gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, zum anderen aber auch nach Wegen zu suchen: Wie können wir uns noch besser vernetzen, um gegen die bösen Feminismuskritiker Front zu machen.

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  5. War der Ansatz "Gender Mainstreaming" nicht tatsächlich gedacht als Ablösung von reinen "Frauenfragen" hin zur Bestrebung, allen Geschlechtern gerecht zu werden?

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  6. Danke für diese Beschreibung des täglichen Wahnsinns...

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Vielen Dank für deinen Kommentar. Sobald ich ihn gelesen und geprüft habe, schalte ich ihn frei.
Viele Grüße
Gunnar